Vortrag über Kabuki Theater
1. Einleitung
Das Kabuki-Theater ist eine der traditionellen japanischen Kunstformen, zu denen auch Kyougen (Komödie), Bunraku (Puppenspiel) und Bugaku (Tanz und Musik) zählen.
Was verstehen wir unter der Bezeichnung Tradition? Wortwörtlich definiert man sie als Brauchtum, das ohne Unterbrechung aus alten Zeiten in die Gegenwart übernommen worden ist. Allerdings - was lediglich "alt" ist kann man nicht "Tradition" oder "Klassik" nennen, sondern nur das, was aus alter Zeit überliefert worden ist, noch heute lebt und außerdem - bezogen aufs Theater - das Publikum amüsiert und die Gefühle anrührt. Darunter könne wir Klassik und Tradition verstehen.
Aber viele moderne Japaner haben eine Abneigung zum Kabuki-Theater entwickelt. Sie denken leider, daß Kabuki Theater bloß eine altmodische Schauspielkunst aus der Tokugawa-Zeit ist, schwer verständlich und mit langsamer Handlung. Wenn das stimmen würde, so wäre Kabuki kein traditionelles Schauspiel und schon längst zugrunde gegangen.
Es ist wahr, daß Kabuki vor 400 Jahren entstand. Über die Geschichte des Kabuki werde ich später mehr erzählen - doch soviel Vorweg:
Kabuki ist eine der höchsten Künste und gehört zum wertvollsten Kulturgut der Menschheit.
2. Die Bühne und das Publikum
Auffällig im Kabuki-Theater ist die besondere Bauform der Bühne. Da ist erstens der"Hanamichi-Weg" (Hana bedeute auf Japanisch die Blume und Michi der Weg). Doch beim Hanamachi gibt es keine Blume.
Auf der linken Bühnenseite trennt der Hanamichi-Weg die Spielfläche vom Zuschauerraum. Auf diesem Weg treten die Schauspieler auf und ab. Doch nicht nur das - der Hanamichi-Weg ist auch ein wichtiger Schauplatz des Geschehens. Jedesmal, wenn ein Darsteller auftritt, verharrt er an einer bestimmten Stelle, so daß das Publikum ihn in seinem mächtigen Kostüm bewundern kann. Hier tauscht der Mime mit dem Publikum Höflichkeiten aus. Alle Leute schreien durcheinander zu seiner Begrüßung begeistert den "Yagou" - den Geschäfts- oder Bühnennamen des beliebten Schauspielers. Sie rufen: "Wir haben auf Dich gewartet" oder "Du bist die Nummer eins von Japan". Diese Lobpreisungen heißen "Homekotoba".
Der Hanamichi diente 1920 auch außerhalb Japans einem russischen Regisseur als Stilmittel und in den vergangenen Jahren haben Theater überall in Europa damit experimentiert. Aufgrund des Bühnenvorgangs besteht eine Distanz zwischen Schauspielern und Zuschauern, die das Hineinfühlen in die Aufführung erschwert. Im Kabuki.-Theater kennt man diesen Hanamichi-Weg seit 300 Jahren.
Auf dem Hanamichi-Weg gibt es außerdem den sog. "Shichi-San-Punkt" einen rechteckigen Einschnitt, den "Suppon" - eine Art Aufzug. Andere Schauspielformen benutzen diese mechanische Vorrichtung nicht. Sie dient nicht den normalen Rollen, sondern ausschließlich übermenschlichen Figuren z. B. Geister, Gespenster, Ninjas und in Füchse verwandelte Menschen. Durch den Suppon-Aufzug erscheinen oder verschwinden sie urplötzlich und sorgen für Überraschungseffekte.
Der Hanamich-Weg ist ein wichtiger Bestandteil jeder Bühne, auf die keine Kabuki Aufführung verzichtet - selbst bei Gastspielen unterwegs wird er sogar provisorisch installiert, obwohl die Zuschauerräume dadurch natürlich noch kleiner werden.
Die zweite Eigentümlichkeit ist die Drehbühne. Sie ist im Zentrum der Hauptbühne in den Bühnenboden eingearbeitet und ermöglicht schnelle Szenenwechsel ohne einen Vorhang zu senken - alles geschieht vor den Augen der Zuschauer. Dieser Effekt funktioniert sehr gut und macht Ortswechsel und Schattierungskontraste der Szenen leicht begreiflich. Diese vor über 200 Jahren in Japan erfundenen Technik erspart zeitlich den Zwischenakt und ist künstlerisch sehr wirkungsvoll. Heutzutage gibt es auf der ganzen Welt Opernbühnen und Schauspielhäuser mit solchen Drehbühnen. Ein deutscher Regisseur benutzte diese Technik des japanischen Kabuki Theaters Ende des 19. Jahrhunderts als erster in Europa.
Außer den Drehbühnen gibt es das "Oozeri", eine Vorrichtung, um die Bühnenausstattung bzw. den Szenenaufbau zu versenken. Oberhalb der Bühne befinden sich Vorhänge und "Sunoko" genannte Körbe, aus denen man Papierkonfetti rieseln lassen kann.
Auf der rechten Bühnenseite befindet sich "Yuka", ein kleines Podium für Sprecher, das bei verschiedenen Kabuki-Stücken benutzt wird. Bei "Gidayuubushi", einer Bunraku-Schule in Kansai, heißt der Sprecher "Tayuu". Neben ihm sitzt ein Shamisen-Spieler als musikalischer Begleiter. Gegenüber auf der Linken Bühnenseite liegt der für das Publikum unsichtbare Raum für Musiker, verdeckt hinter einem Holzgitterfenster. Dort musiziert man mit Trommeln, Querflöten, Shamisen, verschiedenen Tsutsumi-Trommeln, Feuerglocken, Gongs, Mokugyos (Holztrommeln) und Pfeifen zur Nachahmung von Vogel- und Insektenstimmen. Diese Musik heißt "Geza" und deshalb heißt der Raum für die Musiker "Geza-" oder "Ohayashi-Raum" (Ohayashi bedeutet Begleitmusik). Man kann das mit dem Orchesterraum beim Musical vergleichen - auch das Kabuki-Theater bietet die Stücke mit viel Musik dar.
Ich möchte noch eine andere Eigentümlichkeit erwähnen, und zwar den dreifarbigen Vorhang, der zur Seite gezogen wird, nur die drei öffentlich anerkannten Theater durften solche Vorhänge benutzen.
Danach beginnt das Stück mit dem Klatschen der "Hyoushigis", das sind japanische "Claves".
3. Die Gattungen und Themen des Kabukis
Es gibt einige verschiedene Klassifikationen:
"Junkabuki-Werke" und "Gidayuu-Kyougen" (Maruhonmono)
Junkabuki bedeutet, daß es sich um ein Stück handelt, das fürs Kabuki Theater geschrieben wurde. Z.B. "Sukeroru", "Soga-no-Taimen", "Bentenkozou", "Yotsuya-Kaiden" usw.
Gidayuu-Kyogen ist eigentlich nicht für das Kabuki Theater geschrieben worden, sondern für "Ningyou-Joururi", das heutige Bunraku wurde später für Kabuki umgearbeitet z.B. "Chuushingura", "Terakoya", "Sonezaki-Shinjuu" usw. Beim Gidayuu-Kyougen oder "Maruhonmono" sind "Gidayuu" und "Yuka", also die Sprecher und Shamisenspieler unerläßlich.
Kyougen bedeutet übrigens nicht auf die Herkunft vom "Nou-Theater", sonder bezeichnet allgemein ein Schauspiel oder Drama. Das Wort "Marohon" bezeichnet ein Textbuch des Puppentheaters. Die übrigen Kabuki-Stücke sind ursprünglich fürs Nou-Theater geschrieben.
4. Kernpunkt
Die Kabuki-Stimmung beginnt mit dem Kantschlagholz (Hyoushigi) und endet auch damit. Der klare Holzklang und das nach und nach schneller werdende Tempo und der angenehme Rhythmus usw. schaffen eine behagliche Atmosphäre, wie vorher angeführt. Solche Gefühle sind unbeschreiblich.
Der erste sogenannte Kernpunkt ist die musikalische Schönheit und Pracht. Die "Shamisen-Musik" ruft tiefe Emotionen hervor. Die Liebesszene oder die rachgierige Geist-Szene kann man nur über das Gehör wahrnehmen, und die Gefühle der Schauspieler wohl verstehen.
"Geza-Musik" hat sehr viele Klangwirkungsmöglichkeiten, z.B. für die Abenddämerungsszene. Für die einsame Szene braucht man die "Tsurigane" (die japanische Tempelglocke), und bei der Festszene spielen alle Musiker feierlich mit den verschiedenen Instrumenten. Diese Musik ist nicht nur lautmalerisch sondern man kann mit ihr auch Naturereignisse; wie z.B. Regen, Donner, Fluß-Geriesel, Brandung des Meeres mit der Anschlagsänderung der Trommeln wunderbar ausdrücken. Es ist selbstverständlich nicht so realistisch, aber als Klangwirkung funktioniert es wirklich gut. Hier gibt es einen großen Unterschied zum Symbolismus des Nou-Theater und zum realistischen Drama der Modernen Zeit, d.h der eigentümlichen Kabuki-Stilfähigkeit. Das ist kein Klangrealismus, sondern es wird das Wesen des Naturklanges erfaßt und ästhetisch umgesetzt. Dadurch entsteht eine hochkünstlerische Ausdrucksweise.
Die Rollentexte werden auch auf diese Weise geschrieben.
Beispiel 1:
"Tsuki mo oboro ni Shirauo no
Kagari mo kasumu
Haru no Sora, ..." (von Sannin-Kichiza)
Beispiel 2:
"Shiraza itte kikaseyashou.
Hama no Masago to Goemon ga
Uta ni nokoseshi Nusutto no
Tane wa tsukinee Shichiri-ga-Hama,.." (von Benten-Kozou)
Diese Redeweise (oder dieser Sprachrhythmus) heißt "Shichi-Go-Chou" (Sieben-Fünf-Ton).
Der erste der Haltepunkte ist der, daß der Rollentext und die Darstellung mit dem vollen musikalischen Gefühl des Kabuki-Stils gestaltet werden. Deshalb soll man sich das Kabuki-Theater nicht als ein realistisches Schauspiel, sonders viel mehr als ein Musikdrama oder ein Musical vorstellen.
Der zweite Haltepunkt ist der Darstellungsstil. Das Kabuki -Theater hat auch sehr realistische Stücke, z.B. von Chikamatsu, Monzaemon und "Sewamono". Obwohl diese Stücke realistisch angelegt sind, macht jede Person bei großen Gesten eine kurze Bewegungspause, die man "Mie" nennt und die man auch eine Stilschönheit nennen kann. Diesen Ausdruck "Mie" kann man manchmal in der Zeitung finden, z.B. "Oo-Mie wo kiru", das bedeutet "sich in Positur setzen". Das heißt dieses spezifische Wort von Kabuki wurde in die Mediensprache übernommen.
Insgesamt wird "die Blüte des Kabuki" durch die Schönheit und Pracht des Schauspielers symbolisiert. Sie zeigt sich z.B. in seiner schönen Gestalt und in seinem schönen Gesicht. Dadurch wird das Publikum in der Verbindung mit der Klangwirkung und der Begegnung mit seinem Lieblingsschauspieler, der sich auf dem Hana-michi bewegt in eine andere Welt versetzt: Man befindet sich in einem rauschartigen Zustand.
Für die Welt der Schönheit wird die malerische Schönheit der ganzen Bühnenbilder und derer Färbung gefordert. Beim Kabuki-Theater ist das "Emen" (das ganze Bühnenbild) sehr wichtig. Das bedeutet, daß die ganz Bühne immer wie ein bedeutendes Gemälde sein muß. Trotzdem muß man jede Bewegung des Schauspielers wichtig nehmen, und man muß mit der Farbkombination der Kostüme und des Hintergrundes sehr vorsichtig sein. Was viele ausländische Zuschauer bewundern, sind der Farbsinn und die malerische Schönheit des Bühnenbildes.
Ich möchte nur noch einige Sachen über die Darstellung sagen. Die Entwicklung der stilistischen Darstellung des Kabuki ist kompliziert. Sie sind nicht so gleichförmig wie beim Nou- und Kyougen-Theater.
Es gibt eine Grundstruktur, die man "Aragoto" nennt. Das ist z.B. wenn jemand sehr laut redet, oder seine Arme und Beine mit voller Kraft streckt und mit den Augen starrt usw. - Vielleicht ist es das, was manche Leute für die typische Kabuki Darstellung halten. Dabei gibt es das bekannteste Schminken mit der roten und blauen Linie auf dem ganzen Gesicht, das man "Kumadori" nennt. Die rote Farbe bedeutet das Gute, und die blaue Farbe das Böse. Dann schminkt man nicht nur das Gesicht, sondern sogar die Arme und die Beine. Das betont die heldenhafte übermenschliche Stärke. Solche Helden-Darsteller rasen auf der Bühne umher und unterdrücken die Bösen und die Teufel. Dieser Gedanke stammt aus dem Glauben von "Arahito-Gami" und wurde ca. Ende des 17. Jahrhunderts von "Shodai-Ichikawa-Danjuurou" für das Kabuki-Theater eingeführt.
Noch etwas, was man unbedingt sagen muß ist das "Onna-Gata". Seit 1629 wurde den Kabuki-Darstellerinnen verboten aufzutreten, wegen der Unmoral. Seit damals müssen deshalb - auch heute noch - die Männer auch die Frauenrollen spielen. Obwohl es für Männer unmöglich ist Frauen hundertprozentig darzustellen, mußten sie es doch tun. Dies Kabuki-Darsteller mußten dann durchgreifend die weibliche Lebensweise (oder den Lebensstil) erforschen und die sog. Weiblichkeit genau beschreiben, die Frauen selbst nicht merken können.
5. Schlußbemerkung
Was das Kabuki-Theater auszeichnet: Wunderbare Klangwirkungen, die irreale Welt der schöpferisch stilistischen Darstellungen und den Rausch der malerischen Schönheit, obwohl es ein grausames Szenario ist. dessen Darstellung stilistisch höchst kunstvoll überhöht wird.